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Frühere Aktionäre reiten die Welle der Anti- Russland-Stimmung, um Druck auf Russlands führenden Eisenerzproduzenten vor dem Hintergrund eines 15-jährigen Streits auszuüben

Ein 15 Jahre alter Streit zwischen Minderheitsaktionären und Lebedinsky GOK, einem der größten russischen Eisenerzproduzenten, ist wieder neu entfacht / von bne IntelliNews

Während der letzten 15 Jahre versuchte eine kleine Gruppe früherer Minderheitsaktionäre eines der größten russischen Eisenerzproduzenten Lebedinsky GOK (LGOK, Bergbau- und Aufbereitungskombinat Lebedinsky), den angeblich niedriegen Preis gerichtlich anzufechten, der ihnen 2007 im Rahmen eines verpflichtenden Übernahmeangebots gezahlt wurde. Die ehemaligen Aktionäre zogen mehrmals vor Gericht, es folgte aber eine Niederlage nach der anderen. Nun entschieden sie sich jedoch für einen radikaleren Lösungsansatz.

Es sah schon aus, als wäre der Streit endgültig entschieden – 2013 wurde die Berufung der Minderheitsaktionäre vom Höchsten Arbitragegericht der Russischen Föderation abgelehnt und der Entscheidung der unteren Instanz in Kraft blieb, dass das verpflichtende Übernahmeangebot nach allen Regeln gemacht wurde. In den letzten Monaten kam es zu einer wiederholten Angriff auf das Unternehmen, indem auf anonymen Telegram-Kanälen und Boulevard-Seiten Inhalte verbreitet wurden, welche die Firma als „verleumderische Behauptungen“ bewertet.

Nach einer mehrjährigen Pause kam es 2021 zu erneuten Medienangriffen: Damals wurden Gerüchte verbreitet, dass die Holdinggesellschaft und der größte Eisenerzproduzent Russlands, Metalloinvest (Muttergesellschaft der LGOK), dessen Aktien dem Tycoon Alischer Usmanow gehören, einen Bördengang planten.

Verpflichtendes Übernahmeangebot

Die Geschichte nahm im August 2007 ihren Lauf, als der Vorgänger Metalloinvests, ein Unternehmen namens Gazmetal, das einen 99.47- prozentigen Anteil der LGOK-Aktien konsolidiert hatten, ein verpflichtendes Übernahmeangebot für die restlichen 0,53 Prozent der Aktien von Minderheitsaktionären ankündigten. Das Geschäft fand im

Oktober 2007 statt, und Gazmetal erhielt die vollständige Kontrolle über den Eisenerzproduzenten.

Gemäß dem russischen Gesetz über Aktiengesellschaften hat jeder Aktionär, der mehr als 95 Prozent der Aktien hält, das Recht, die restlichen Aktien zwingend zu übernehmen.

Gemäß dem Gesetz über Aktiengesellschaften hat die Bewertung auf der Grundlage der Teuersten der drei Alternativen zu erfolgen: Das sind eine unabhängige Bewertung durch einen Gutachter, der höchste Kaufpreis, der von einem Aktionär in den vorherigen sechs Monaten gezahlt wurde; und der gewichtete Aktienkurs der letzten sechs Monate.

2007 bewertete ein russisches Bewertungsunternehmen (Gorislawzew & Co. Ozenka SAO) die Aktien mit je 5.383,29 Rubel (umgerechnet 210 Dollar), daraus ergab sich ein Unternehmenswert von 3,88 Milliarden Dollar. Der höchste Preis, den ein Aktionär für eine LGOK-Aktie in den sechs Monaten vor der Übernahme gezahlt hatte, betrug 8.015,19 Rubel (314 Dollar). Die LGOK-Aktien wurden nicht auf der Börse gehandelt, deswegen konnte der Aktienkurs bei der Ermittlung des Übernahmepreises nicht berücksichtigt werden. So kam man gemäß dem russischen Gesetz über Aktiengesellschaften auf den höchsten Preis, der von einem Aktionär gezahlt worden war, nämlich auf 8.015,19 Rubel (314 Dollar).

Dieser Preis wurde dann von Gazmetal im Rahmen der Übernahme der restlichen 0,53 Aktien den Minderheitsaktionären gezahlt – in Übereinstimmung mit den Anforderungen der russischen Rechts. “Nach unserer Überzeugung sind die Bedingungen extrem attraktiv für Minderheitsaktionäre, denn der Preis liegt höher als der Markt und auch wesentlich höher, als 3 249 Rubel (127 Dollar) – der Betrag, auf den wir unter Anwendung der branchendurchschnittlichen Finanzkennzahlen kommen,“ – so schrieb damals das russisches Medium für Investoren FINAM.

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Das schien das Ende der Geschichte zu sein, den keiner der Minderheitsaktionäre sich beschwerte, und gezahlt wurde der höchste der drei alternativen Preise, nämlich der höchste Kaufpreis, der vom Mehrheitsaktionär in den sechs Monaten vor dem verpflichtenden Übernahmeangebot gezahlt wurde.

Probleme begannen erst im nachfolgenden Jahr, als 2008 die Eisenerzpreise wesentlich stiegen. Innerhalb von nur zwölf Monaten nach

der Ankündigung des Übernahmeangebots im August 2007 erreichte die Steigerung der Lieferpreise um fast zwei Drittel (64 Prozent) von 74 auf 121 Dollar pro Tonne. Gleichzeitig wurden die inoffiziellen Bewertungen der Eisenerzproduzenten ebenfalls nach oben korrigiert – auch wenn natürlich nicht einmal annähernd so sehr wie die Rohstoffpreise wuchsen.

Mehr als 20 Prozent der ehemaligen Minderheitsaktionäre, deren Aktion im Oktober 2007 übernommen wurden, zogen vor Gericht – aus Enttäuschung, dass sie von einem derartigen Preisanstieg nicht mehr profitieren konnten. Ihre Forderung: Einen Ausgleich zu leisten, indem der Aktienpreis rückwirkend erhöht wird.

Die Klagen beruhten auf der Differenz zwischen der Bewertung von LGOK zum Zeitpunkt der verpflichtenden Übernahme 2007 in Höhe von ca. 4 Mrd. Dollar – und ein Jahr später, nach dem drastischen Anstieg der Eisenerzpreise – nach Auffassung der Minderheitsaktionäre ging es um eine Wertsteigerung um das 15-fache auf 60 Mrd. Dollar, trotz der Tatsache, dass sich die Eisenerzpreise nicht einmal verdoppelt hatten.

Die Richter gaben den Klagen nicht statt – mit dem Verweis, dass keine Regeln im Rahmen der verpflichtenden Übernahme verletzt wurden.

Mehrere Experte, welche die Gerichtsverfahren in den Medien kommentierten, wiesen darauf hin, dass der Sinn des Aktienhandels darin liege, zu erraten, wenn der Aktienwert ihren Höhepunkt erreicht, um diese dann zu verkaufen. Die Idee, man könnte eine Aktie erst einmal verkaufen und dann ein Jahr später mehr Geld verlangen, weil der Kurs der Aktie gestiegen sei, widerspricht dem Konzept des Marktes.

Die Minderheitsaktionäre ließen sich dadurch jedoch nicht irritieren. 2009 gaben sie ein neues Bewertungsgutachten in Auftrag – mit dem Ergebnis, dass die Aktie damals 23 477,66 Rubel wert war. Daraus ergäbe sich der Unternehmenswert von LGOK von 17 Milliarden Dollar, was mehr ist, als der damalige Wert des Stahlgiganten Severstal.

Der Bericht wurde dem führenden russischen Prüfungsunternehmen “Selbstregulierender regionenübergreifender Verband der Bewertungsunternehmen“ sowie den internationalen Wirtschaftsprüfern der KPMG vorgelegt, die den Bericht scharf kritisierten. Die Berater stellten fest, dass bei der Schuldstand Bewertung weder der Schuldenstand noch der Finanzierungsrahmen der LGOK berücksichtigt wurden. Das gelte auch für die Kosten der Bodennutzung. Die Bewertung der Gebäude sei mangelhaft, der Wertverlust und viele weitere Aspekte

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blieben unberücksichtigt. Auch KPMG wies darauf hin, dass die Bewertungsmethode                    unangemessen                                                          sei. Die KPMG-Experten führten dann eine eigene Bewertung des Unternehmens durch – basierend auf den Gleichen Daten wie der von den Minderheitsaktionären in Auftrag gegebene Bericht. Sie kamen aber nach Unternehmensangaben   zu   einem   vielfach   geringeren    Ergebnis. Der von den Minderheitsaktionären beauftragte Bericht war letztlich irrelevant, denn die Gerichte auch diesmal der Klage nicht stattgaben, wenngleich es zu einer Hauptverhandlung vor Gericht kam. Die Richter bestätigten: Es wurden keine Regelungen des russischen Gesetzes über Aktiengesellschaften verletzt.

Das konnte die Minderheitsaktionäre trotzdem nicht davon abhalten, in den nachfolgenden vier Jahren gerichtlich gegen LGOK und Metalloinvest immer wieder gerichtlich zu klagen – mit der Forderung nach einem Ausgleich. In allen der insgesamt 16 Fälle mussten sie eine Niederlage                                                                              hinnehmen.

Versuche, eine Wiederaufnahme der Gerichtsverfahren durchzusetzen

Mangels rechtlicher Grundlagen wandten sich die Minderheitsaktionäre an die Medien. In Russland werden Streite zwischen Aktionären häufig öffentlich ausgetragen, denn es ist einfach, Artikel in russischen Boulevardzeitungen zu platzieren. Es wurde unter anderem ein Schreiben an den früheren Chef des britischen Foreign Office Lord David Owen verfasst: Vertreter der ehemaligen Minderheitsaktionäre drohten Metalloinvest mit rechtlichen Konsequenzen, sollte das Unternehmen versuchen, auf der London Stock Exchange aufgelistet zu werden. Die Kampagne führte zu nichts, und es kam zu einer mehrjährigen Pause. Nun aber werden die ehemaligen Minderheitsaktionäre wieder aktiv. Manager und Aktionäre von LGOK erhielten zuletzt nach LGOK- Angaben Briefe mit Geldforderungen sowie Drohungen, dass neue Beschwerden bei verschiedenen russischen und internationalen Regierungsagenturen eingereicht werden könnten. Die Tatsache, dass es in den vielen Jahren dazu nicht gekommen ist, zeuge davon, dass die entsprechenden Forderungen unbegründet seien, so das Unternehmen. Ein LGOK-Sprecher sagte bne IntelliNews, dass die Rechtsanwälte des Unternehmens “entsprechende Schreiben und Drohungen als Erpressungsversuche bewerten“.

Auch eine Öffentlichkeitskampagne ist wieder in Gang: Metalloinvest bezeichnet sie als “verleumderische Behauptungen“ auf anonymen Telegram-Kanälen und auf Internetseiten, die sich auf „Kompromat“ profilieren, schädlichen Informationen, die in Russland wie auch international oft verbreitet werden, um Geld zu erpressen oder, unter anderem, politischen Einfluss auszuüben.

Die Aktivitäten intensivierten sich in der zweiten Hälfte des Jahres 2021, wenn Metalloinvest die Möglichkeit eines Börsengangs auf der Moskauer Börse MOEX indirekt bestätigte.

Die neue Öffentlichkeitskampagne fokussiert sich auf zwei neue Vorwürfe.

Erstens, bei der Bewertung des Unternehmens LGOK im Vorfeld der verpflichtenden Übernahme 2007 seien die angeblich mit ihm verbundenen Handelsgesellschaften BGMT und FMC nicht berücksichtigt worden – was angeblich zu einem deutlich höheren Wert des               Unternehmens                        resultieren                         würde. Und, zweitens, es habe damals angeblich zwei verschiedene Bewertungen gegeben: Die eine für die Übernahme der Aktien zu einem künstlich niedrigen Preis, und die andere für externe Investoren, und zwar mit einem dreimal so hohen Preis.

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Es gibt allerdings zwei Probleme mit diesen Vorwürfen.

Die Handelsgesellschaft FMC wurde von Metalloinvest übernommen, und nicht von LGOK. Mehr noch, die Übernahme wurde erst 2008, und nicht 2007 abgeschlossen – ein Jahr nachdem die Minderheitsaktionäre den Kaufpreis bekommen hatten. Gemäß den von bne IntelliNews eingesehenen Dokumenten berichtete FMC über eine geringe Handelsspanne in Höhe von durchschnittlich 7,5 Prozent, und die Konsolidierung dieses Geschäfts in die Holdinggesellschaft führte zu keinem signifikanten Unterschied zur allgemeinen Bewertung des Unternehmens. Und BGMT hatte nie einen Bezug zu den Aktionären von Metalloinvest. Alle Handelsbeziehungen mit BGMT wurden 2006 beendet – mit der Konsolidierung des Mehrheitsanteils an LGOK.

Ein Metalloinvest-Sprecher widerspricht entschieden der Version, es habe 2007 zwei unterschiedliche LGOK-Bewertungen gegeben, und weist darauf hin, dass mit Gorislawzew & Co. Ozenka SAO ein unabhängiges Bewertungsunternehmen an der Bewertung beteiligt war, dessen

Zuverlässigkeit unter anderem duch einen der Big-Four-Prüfer KPMG bestätigt wurde.

Und der Preis von 8 015,19 Rubel, der als Grundlage für die Übernahme gewählt wurde, war letztlich der höchste Preis, zu dem die Aktien in den vorherigen sechs Monaten vor der Ankündigung des verpflichtenden Übernahmeangebots gezahlt wurde – was auch im öffentlichen Register festgehalten ist.

Was kommt als nächstes?

Nachdem Metalloinvest letzten Sommer einen Börsengang in Höhe von 20 Milliarden Dollar auf der Moskauer Börse zuließ, fand die Auflistung immer noch nicht stat. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges ist ein Börsengang in der nächsten Zukunft kaum wahrscheinlich. Russische Unternehmen wurden vom internationalen Kapitalmarkt abgeschnitten, der Binnenmarkt schrumpfte, die Volatilität wurde stärker.

Der Hauptaktionär Alischer Usmanow wurde 2022 mit UK-Sanktionen belegt, die entsprechenden Sanktionen wurden jedoch gegen ihn als Einzelperson eingeführt, und keines seiner Unternehmen wurde davon betroffen. Das gilt auch für die Firma Metalloinvest, welche ihr Geschäft mit internationalen Partnern fortführen konnte.

Die Sanktionen sorgen aber für Probleme für Metalloinvest. Im Oktober kündigte das Unternehmen an, auf Rubel laufende “Ersatz-Anleihen” auszugeben, welche die auf Dollar laufenden Anleihen teilweise ersetzen müssen. Metalloinvest teilte mit, dass diese Anleihen die aktuell laufenden Eurobonds im Wert von 650 Mio. Dollar, einer Laufzeit bis 2028 und Jahresrenditen in Höhe von 3,375 Prozent teilweise ersetzen.

Nach der Einführung der harten Finanzsanktionen gegen Russland begannen Russische Unternehmen damit, eine Art „Ersatz“-Anleihen mit einem entsprechenden Wert, Renditen und Laufzeit auszugeben.

Offensichtlich wollen nun die Minderheitsaktionäre aus dem Momentum ihren Nutzen ziehen: Weil die antirussischen Stimmungen stark sind, entschieden sie sich dafür, ihre Kampagne fortzusetzen, um so einen

„Ausgleich“ für den Aktienverkauf vor 15 Jahren doch zu bekommen.